Klaus Nürnberg kam von der Bühne. Der ausgebildete Germanist war Dramaturg in Bremen, St. Gallen und Zürich. Heiri Strebel holte ihn vor mehr als 23 Jahren an die KME für den Freifachkurs Theater. Er ist geblieben: als Regisseur, später als Deutschlehrer und schliesslich als unverzichtbarer Mann für alles, der von der Maturfeier bis zur Weiterbildungskommission überall konstruktiv mitwirkte.
Die letzte Inszenierung fiel wegen Corona ins Wasser, die vorletzte, «Gross und klein» von Botho Strauss, war ein grosser Erfolg, wie die Kritik im letzten Jahresbericht beweist.
23 Stücke hat Klaus Nürnberg mit dem Schauspielensemble der KME inszeniert. Von Ingeborg Bachmanns «Der gute Gott von Manhattan» bis Juli Zehs «Corpus Delicti», von Peter Handkes «Über die Dörfer» bis zu Elfriede Jelineks «Raststätte». Hunderte von Studierenden haben unter seiner Regie auf der Bühne gestanden, Texte geprobt, Szenen eingeübt und gelernt, mit Stimme, Mimik und Körperhaltung eine Rolle auszudrücken. Eine Schule fürs Leben – und für uns Zuschauende immer wieder ein beglückendes, anregendes Erlebnis.
Klaus Nürnberg hat Sinn fürs Pointierte. Gerne bringt er Sachverhalte auf den Punkt, sei’s verbal, sei’s visuell. Legendär sind die Kostüme seiner Darsteller*innen, unvergesslich die originellen Aufführungsplakate. Diese maximale Reduktion aufs spitze Detail kam ihm auch in seinem Nebenberuf als Werbetexter zugute.
Plakat für das Stück «Die Befristeten» von Elias Canetti, das 2013 an der KME aufgeführt wurde.
Aber irgendeinmal wurde es ihm in der Werbung langweilig und er zog dem Grossraumbüro das Klassenzimmer vor. Er wurde Deutschlehrer an der KME und am Freien Gymnasium Zürich, unserer Nachbarschule im Riesbach. Viele Jahre haben wir beide zuerst mit Urs Baumann und dann mit Claudio Darms in der Passerelle unterrichtet. Im Teamteaching, versteht sich. Da exponiert man sich, gibt viel von sich preis und muss – notgedrungen – mit ganz unterschiedlichen Unterrichtsstilen und Interpretationsansätzen klarkommen. Ich war zunächst skeptisch, mit zwei so ausgeprägten Alphatieren vor den Klassen zu stehen, war aber schon nach einigen Wochen hell begeistert.
Wir lasen «Heimsuchung» von Jenny Erpenbeck und kamen immer wieder ins Gespräch. Klaus sah mir beim Unterrichten zu, gab wertvolle Rückmeldungen und ich fühlte mich rasch wohl. Urs Baumann ging in Pension, und Claudio Darms kam. Das gute Gefühl blieb erhalten und ich denke oft wehmütig an einige Gespräche zurück. Zum Beispiel als sich Urs als Romantiker outete, ich das Mass der Klassik in den höchsten Tönen pries und Klaus für sich – wie könnte es anders sein – den Sturm und Drang mit Fug und Recht in Anspruch nahm.
«Ich versuche, die Sprache selbst zu zwingen, die Wahrheit zu sagen. Die Sprache lügt ja, wo man sie lässt.» Elfriede Jelinek
Ja, man kommt sich näher, wenn man so intensiv miteinander arbeitet. Natürlich gab es hie und da zugespitzte Momente, aber ganz biedere Kompetenzen wie Kollegialität, Hilfsbereitschaft und Zuverlässigkeit haben unsere Zusammenarbeit geprägt. Ich habe in Klaus Nürnberg einen extrem neugierigen Leser kennengelernt, der sich manche Neuerscheinung unter den Nagel reisst, einen kritischen Kenner, der auch experimentellen Formen und skurrilen Inhalten eine Chance gibt. Wenn es um literarische Qualität geht, orientiert er sich gerne an der österreichischen Autorin Elfriede Jelinek, die sagte: «Ich versuche, die Sprache selbst zu zwingen, die Wahrheit zu sagen. Die Sprache lügt ja, wo man sie lässt.»
Klaus Nürnberg hat die KME auf den Sommer 2021 verlassen, um nach seiner Pensionierung neue Wege einzuschlagen. Ich danke ihm herzlich für die Zusammenarbeit, für sein Engagement in der Fachschaft Deutsch und für alles, was er für die KME gemacht hat. Er hat unseren ungeteilten Applaus mehr als verdient.